Bernd Bieglmaier konnte ihn nicht übersehen. Denn er war sehr hochgewachsen und überragte die… äh… eher spärliche Menge um ihn herum. Noch dazu hielt er ein Schild in seinen Händen, auf welchem stand: „Stoppt die Kriege in Syrien, Ukraine, Jemen…!“
Die eher spärliche Shopping-Menge schien ihn allerdings nicht zu bemerken, sie strömte zaghaft links und rechts an ihm vorbei.
Manuel P. und Passanten, die sich aus seiner Sicht mehr rechts als links von ihm vorbeibewegen.
Unser Bedürftigen-Reporter fand diese Beobachtung bemerkenswert genug, um den Hünen anzusprechen. Dieser stellte sich als Manuel P. vor, Friedensaktivist.
Bernd Bieglmaier fragte ihn nicht, ob er davon leben könne, sondern wies auf das Schild mit den vielen kleinen aufgeklebten Schildern, auf welchen jeweil ein anderer Name stand.
Manuel P. erklärte, dass er dieses Schild seit vielen Jahren verwenden würde. Er bräuchte nur immer je nach Lage das jeweilige Land auszutauschen oder hinzuzukleben, meinte er. Mit Afghanistan habe er begonnen, weswegen er die vielen anderen Kriege zuvor nicht auf der Tafel stehen hatte. „Yemen“ habe er erst kürzlich angebracht.
Bernd Bieglmaier lobte Herrn P. für dessen ökonomisches Geschick, nur was er hier in der Einkaufsstraße und noch dazu in der Provinz damit bezwecken wollte, war unserem Bedürftigen-Reporter etwas undeutlich. Herr P. habe ja nicht einmal etwas zu verkaufen, wie Bernd Bieglmaier anmerkte.
Er würde auch nichts verkaufen, so Manuel P. verständnislos, er würde nur verschenken. Neben Aufmerksamkeit und Dialog wären das Dinge wie Moral, Anstand, Gewissen, sogar soetwas abstraktes wie Rechtstaatlichkeit.
Unser Bedürftigen-Reporter machte Herrn P. auf den Umstand aufmerksam, dass niemand etwas nehmen würde, wenn es nur verschenkt wird. Das wolle dann niemand haben. Es müsse etwas kosten, denn die Leute wären es gewohnt, sich dann den ärgsten Scheiß zu kaufen. Kaufen! Es könne auch billig sein, aber nie umsonst oder geschenkt.
Bernd Bieglmaier musste es ja wissen, war er der Werbebranche als Konsument nie abhold gewesen. Daher hatte er sogleich einen Vorschlag parat, auch wenn es sich etwas kostspielig darstellte: den Leuten Geld geben, um sie zum Zuhören zu veranlassen, vielleicht sogar zu sinnvoller Aktivität. Herr Bieglmaier wusste, dass sogar Moral käuflich sein konnte. Alles andere hielt er aber für aussichtslos.
Manuel P. wollte es nicht wahrhaben. Obwohl jeder Tag seines Tuns ihm nichts anderes aufzeigte.
Manuel P.: erfolglos auch an dieser Stelle.
Für Bernd Bieglmaier wurde deutlich, dass es sich bei dem Herrn P. um einen weltfremden wie bedürftigen Menschen handelte. Nicht weil er arm und krank war, dazu war er seelisch zu gesund und moralisch zu integer sowie seine Umgebung zu degeneriert, sondern weil er unglaublich einsam war. Unserem Bedürftigen-Reporter schauderte es bei der Vorstellung, als einzig Lebender unter Toten hausen zu müssen.
Wir in der Bedürftigen-Redaktion sehen es ähnlich. Dass Herr P. seine Zeit verschwendete, war natürlich allein seine Sache. Bedürftig wurde er für uns durch seine starre Verbohrtheit, seine penetrante Ignoranz, allein mit seiner Anwesenheit und einem Schild etwas bewirken zu wollen, wo es nichts mehr zu bewirken gab.
Vielleicht werden wir ihn, Herrn Manuel P., die nächsten Jahre weiterhin in der Einkaufstraße stehen sehen, mit neuen Namen auf dem Schild. Aus Regierungskreisen wurde uns bereits zugetragen, dass derartige Absichten bestehen.