Weiter mit jenen Teil der Vernehmungsprotokolle der Natascha Ka., die Peter P. von den Grünen auf seiner Homepage veröffentlicht hat.
3. September 2006
Die fünfte Einvernahme beginnt um 9.10 Uhr. Nach wie vor interessieren sich die SOKO-Beamten vor allem für die Beziehung zwischen Täter und Opfer. Sie wollen wissen, wie groß Ka.s Angst vor Priklopil war – und ob diese Angst das Haupthindernis für eine Flucht bei den Gelegenheiten, bei denen sie gemeinsam das Haus verließen, waren.
Ka. gibt einleitend eine Erklärung ab:
Ich möchte zur gestrigen Niederschrift sowohl zur geschilderten Situation am Hochkar als auch bei der Verkehrskontrolle ergänzend angeben: Ich habe nie gewusst, was er macht, ob er mich zerfleischt oder andere verletzt. Ich stand unter permanentem Druck von ihm.
Frage: War diese Angst begründet dadurch dass Wolfgang Priklopil eine Waffe (Schusswaffe, Messer etc.) bei sich hatte?
Antwort: Nein. Er hatte nie eine Waffe bei sich, er war aber unberechenbar, ich hatte zum Beispiel Angst, dass er mich würgen könnte. Er hatte mich ja auch mit dem Umbringen mehrmals bedroht. Ich konnte mir keine fehlgeschlagenen Fluchtversuche leisten, ich hatte Angst, dass er mich für immer unten einsperrt oder noch schlechter behandelt. (8)
Wieder verzichten die SOKO-Beamten auf Fragen zu möglichen Mittätern. Die Vernehmung wird um 10.50 beendet. Und wieder halten die Beamten im Einsatzprotokoll fest: „keine neuen Erkenntnisse“ (9)
Bei der sechsten Befragung am 7. September 2006 wollten die Beamten wissen, ob Natascha Ka. (auch) im Ausland gewesen sei (nein) und mit welchen Fahrzeugen sie mit Wolfgang Priklopil unterwegs gewesen sei (roter BMW, der alte und der neue Bus).
15. September 2006
Bei der siebenten und letzten Vernehmung fragen die SOKO-Beamten nach einigen Namen.
Frage: Im Mobiltelefon von Wolfgang Priklopil ist im Letztrufnummernspeicher ein gewisser H. Ernst (11) gespeichert. Die Telefonnummer ist jedoch auf eine H. Hedwig angemeldet.
Antwort: Der Name Ernst H. sagt mir nichts.
Frage: Es gibt eine Eintragung von Wolfgang Priklopil, wo Schifahren mit Christian – 16.3.2005 – eingetragen ist.
Antwort: Es muss nicht sein, dass er mit Christian Schifahren gegangen ist. Er hat von einem Christian gesprochen, aber den Nachnamen weiß ich nicht. Ich habe außer dem Priklopil, dem H. und den Nachbarn keine anderen Personen gesehen.
Frage: Auf einem im Haus sichergestellten Videoband ist Wolfgang Priklopil mit einer zweiten Person beim Schifahren zu sehen. Ein Vergleich mit vorliegenden Bildern ergab eine Übereinstimmung mit Rudolf H.. Sind Ihnen diese Aufnahmen bekannt und war eventuell noch jemand dabei?
Antwort: Das Video ist mir bekannt, er wollte damit zeigen, wie es in dieser Gegend mit dem Schifahren aussieht. Er dürfte nur mit Rudolf H. Schifahren gewesen sein. (12)
Dann wechseln die Beamten das Thema und fragen
• zu Priklopils Versuchen, sämtliche Spuren von Ka. im Verlies zu vermeiden
• zu Priklopils Mutter
• zur Einrichtung des Verlieses
• zu Geschenken
• und zu Zeitungsausschnitten, die Kampusch privat sammelte.
Gegen Ende der letzten Vernehmung fragen die Beamten zum ersten Mal nach einem Motiv.
Frage: Was sagte er Ihnen zum Motiv der Entführung bzw. wie er sich das Leben mit Ihnen weiter vorstellte?
Antwort: Zum Motiv hat er je nach Stimmung gesagt, dass ich ihm gehöre und dass er schon immer eine Familie haben wollte. Er hätte mir auch eine neue Identität besorgt.
Um 13.15 ist die siebente und letzte Vernehmung nach zwei Stunden zu Ende. Im Laufe der Vernehmungen haben die Beamten einiges erfahren:
1. Während der Entführung hat es Kontakt zu einer dritten Person gegeben.
2. Der Keller war nicht als Gefängnis vorbereitet.
3. Der Täter suchte mit seinem Opfer fünf Adressen nicht nur in Wien-Donaustadt sondern auch in den Bezirken 15, 16 und 17 auf.
Stillfriedplatz, Bergsteiggasse, Hollergasse, Stralehnergasse, Rugierstrasse – die Beamten fragen bis zum Schluss nicht nach. Ka. war zumindest in den Wohnungen in der Hollergasse, in der Bergsteiggasse und in der Stralehnergasse. In welchem Haus mit welcher Hausnummer, in welcher Wohnung waren sie? Was haben Ka. und Priklopil dort getan? Wann waren sie dort? Wem gehören die Wohnungen? Hatte Priklopil Schlüssel oder wurde ihnen geöffnet? Wie vermied Priklopil, dass Ka. bei den Ausflügen Spuren hinterließ? Und: Warum ging Priklopil, der schon bei Ka.s Besuchen im Haus nur wenige Meter vom Verlies entfernt Angst vor dem Hinterlassen von Spuren hatte, das Risiko von Wohnungsbesuchen auf der anderen Seite von Wien ein?
21. September 2006
„Auf Befragung gebe ich an, dass das Verfahren gegen Wolfgang Priklopil am 21.9.2006 infolge Todes des Tatverdächtigen von mir beendet wurde.“(1) Staatsanwalt Kronawetter schließt den Akt. Die Ermittlungen gegen Wolfgang Priklopil sind beendet. Aber ein zweites Verfahren ist unter derselben Gerichtszahl noch offen: das Verfahren gegen unbekannte Täter.
22. September 2006
„Im Einvernehmen mit dem behördlichen Leiter der SOKO Ka., Mag. OR Erich Z., wird die Anzeige mit heutigem Tage an die Staatsanwaltschaft Wien und an das Landesgericht für Strafsachen Wien abgefertigt.“(2)
Die SOKO hat ihre Ermittlungen abgeschlossen und berichtet der Staatsanwaltschaft. Schon der Beginn der „Darstellung der Tat“ erweckt einen irreführenden Eindruck:
„Wolfgang Priklopil zerrte Natascha Ka. in seinen gegenüber der `Hundewiese´ abgestellten und auf ihn polizeilich zugelassenen Kombinationskraftwagen der Marke Mercedes Benz 100 D-L, weiß lackiert (Originalkennzeichen W 13150L) auf welchem bisher unbekannte manipulierte Kennzeichen montiert waren. Er nötigte sie durch gefährliche Drohungen zur Unterlassung ihrer Gegenwehr. Unmittelbar danach verbrachte Wolfgang Priklopil mit seinem Fahrzeug Natascha Ka., die er in eine Decke einhüllte und hinter dem Fahrersitz auf den Boden legte, vom Entführungsort zu seinem Anwesen nach Straßhof/Nordbahn, Heinestraße 60. In diesem Einfamilienhaus sperrte Wolfgang Priklopil das von ihm entführte Mädchen in einen vorbereiteten Raum („Verließ“), welches [er] bereits Jahre zuvor von ihm unter seiner Garage neben der Montagegrube angelegt hatte.“ (3)
Dieser erste Teil der Darstellung steht in klaren Widerspruch zur Ka.s Aussage. In ihrer ersten Einvernahme hat Ka. berichtet, dass
• sie „stundenlang“ durch dicht besiedeltes Gebiet im Zentrum des 22. Bezirks gefahren wurde;
• der Entführer für sein Opfer weder Toilettesachen noch Matratze und Polster vorbereitet hatte;
• das Verlies Anfang März nicht geheizt war und ein alter Ölradiator provisorisch aufgestellt werden musste;
• Ka. in ihrer ersten Einvernahme zumindest zweimal auf weitere Täter hingewiesen hatte.
Dann beschreiben die Beamten die Zeit der Gefangenschaft:
„Ab ca. Herbst 1998 durfte Natascha Ka. unter ständiger Aufsicht durch Wolfgang Priklopil in unregelmäßigen Abständen ihr „Verließ“ verlassen und im Haus Arbeiten verrichten sowie ihre Körperreinigung durchführen. Dabei war das Haus stets durch verschiedene elektronische Vorrichtungen gesichert…“ (4)
Die Ausflüge, die regelmäßigen gemeinsamen Einkäufe und die gemeinsame Arbeit in den vier Wohnungen lassen die Beamten unerwähnt. Alles, was das Bild von der Gefangenen, die dem Einzeltäter bei der ersten Gelegenheit entflieht, stört, kommt in der „Darstellung der Tat“ nicht vor.
Erst am Ende der Anzeige fassen die Beamten die Erstaussage von Ka. und die Aussagen der Augenzeugen zusammen. In die „Darstellung der Tat“ gehen die Hinweise nicht ein.
Die dargestellten Spuren führen zum toten Einzeltäter. Die anderen Spuren werden nicht weiter verfolgt. Weitere Täter oder Mitwisser sind politisch nicht erwünscht. Damit ist der Fall für die SOKO Ka. erledigt.
15. November 2006
Staatsanwalt Kronawetter stellt auch das Verfahren gegen „unbekannte Täter“ ein (14). Trotz der Hinweise auf Mitwisser und einen zweiten Täter hat es keinen einzigen Ermittlungsschritt in diese Richtung gegeben. Die Politische Abteilung der Staatsanwaltschaft funktioniert wie gewohnt. Sie will nur wissen, was sie wissen soll. Der Akt „Ka.“ ist damit geschlossen.
Soweit die vom Nationalratsabgeordneten Peter P. veröffentlichten Auszüge sowie dessen (gekürzte) Kommentare dazu.
Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Nachdem später noch weitere „Merkwürdigkeiten“, „Nachlässigkeiten“, „Pannen“ usw. öffentlich wurden, sollte Peter P. öffentlich fragen, ob wir hier in Österreich die schlechteste Polizei der Welt hätten.
Darüber ließe sich diskutieren. Allerdings gab es in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart eine Reihe von anderen Fällen, wo die Polizeiarbeit als auffällig schlampig und inkompetent dagestanden ist. Und schließlich Teile eines ganz anderen Hintergrunds sichtbar wurden. Wo ist also der Unterschied zwischen Inkompetenz, Fahrlässigkeit, wo der Unterschied zum Vorsatz?
Es lohnt sich ein weiterer Blick. Wie immer.