„Die Gründe für den vierten Massenexodus.“ PRESSE, 20. Februar 2016.
Marlies Kastenhofer und Johannes Perterer erzählten ihren Lesern Geschichten. Das klang dann so:
„Zu beginn seiner Amtszeit, im September 2014, hatten viele Afghanen mit dem neuen Präsidenten Aschraf Ghani noch die Hoffnung auf Frieden verbunden.“
Wer immer diese vielen Afghanen gewesen sein mögen, wir kennen sie nicht. Worauf sich deren Hoffnung auf Frieden begründet haben soll, wurde von Kastenhofer/Perterer leider auch nicht genannt. Schleierhaft war zudem, was der afghanische Präsident damit zu tun haben sollte, denn dieser besitzt überhaupt nicht die Macht für eine Befriedung im Land und schon gar nicht einen entsprechenden politischen Rückhalt. Dieser Mann ist ein Präsident aus NATO’s Gnaden bzw. ein Vasall der USA. Und die USA wiederum führen zusammen mit einigen Verbündeten Krieg in Afghanistan – gegen mehrere Widerstandsgruppen, im Westen gemeinhin als „Taliban“ pauschalisiert.
„Umso größer ist heute die Entäuschung darüber, dass die Wirtschafts- und Sicherheitslage des Landes weiterhin katasprophal ist.“
Wir nennen soetwas eine überraschungsarme Zwangsläufigkeit.
„Im Vorjahr hat die Zahl getöteter oder verletzter Zivilisten im Konflikt mit 11.000 Opfern einen neuen Höchststand erreicht.“
Dieser Zahl ist allerdings zu misstrauen, wie wir anmerken möchten, weil die durch NATO-Operationen verursachte tatsächliche Opferzahl in diese Statistiken nicht aufgenommen werden. Dieser Opfer sind, von einigen Ausnahmen abgesehen, der Öffentlichkeit nicht bekannt.
„Die Wirtschaft liegt am Boden.“
Mit Ausnahme des Wirtschaftszweiges Schlafmohn/Opium/Heroin.
„Der Vertrauensverlust in die afghanische Regierung ist so groß, das Afghanistan derzeit die vierte Massenflucht in seiner Geschichte erlebt.“
Die vom Westen protegierte Regierung hatte allerdings nie das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit besessen. Nicht umsonst war diese gerne als „Regierung von Kabul“ verspottet worden.
„Die erste wurde durch die sowjetische Besatzung ausgelöst…“
Es hatte schon früher in Afghanistan Kriege gegeben und damit einhergehende Fluchtbewegungen. Zum Beispiel die drei Kolonial-Kriege der Briten im 19. und 20. Jahrhundert. Zwei Umstürze in den Jahren 1973 und 1978 hatten auch ihren Teil dazu beigetragen. Geschenkt.
Die sowjetische „Besatzung“ dagegen hatte keine Fluchtbewegung ausgelöst, sondern die Eskalation des Krieges, da beiden Parteien – kommunistische Regierung von Afghanistan und russische Verbände einerseits sowie zahlreiche Mudschahedin-Verbände, die vor allem durch die USA, Pakistan und Saudi-Arabien unterstützt wurden, andererseits.
Der Kleinkrieg hatte auch nach dem Umsturz 1978, welcher ein kommunistisches Regime an die Macht gebracht hatte, angehalten. Die russische Intervention war erst nach einem erneuten blutigen Putsch innerhalb der afghanischen kommunistischen Partei, 1979, erfolgt, nachdem zuvor die Sowjetunion, gemäß eines Beistandspaktes, vergeblich um Waffenhilfe gegen die Mudschahedin gebeten worden war. Bei dieser Gelegenheit wurde die aktuelle kommunistische Regierung blutig ausgeschaltet und durch eine neue ersetzt.
„… die zweite durch den Bürgerkrieg…“
Richtig, eine Reihe von unterschiedlichen Fraktionen und Söldnergruppierungen hatten sich nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 und dem Fall der kommunistischen afghanischen Regierung 1992 um die interne Vormachtstellung bekriegt.
„… die dritte durch das Taliban-Regime.“
Die Taliban hatten sich damals durch gesetzt und nach der Eroberung Kabuls 1996 ihr fundamentalistisches Regime etablieren können. Allerdings unter Ausnahme der nördlichen Regionen, wo sich ein anderes kampfstarkes Bündnis befunden hatte. Für die USA und ihre Verbündeten war dies aber kein Problem gewesen, waren die Taliban doch ursprünglich Teil ihrer eigenen Kreationen gewesen: geschult und bezahlt mit saudischen Geldern und Ideologen, geheimdienstlich organisiert und bewaffnet durch den US-Auslandsgeheimdienst CIA und dem pakistanischen Militärgeheimdienst ISI.
„Rund ein Fünftel der knapp eine Million Flüchtlinge, die 2015 über das Mittelmeer nach Europa reisten, waren Afghanen.“
Kastenhofer/Perterer sprachen hier von einer angeblich „vierten“ Flüchtlingswelle, die sich ihren Angaben nach somit 2015/16 ereignet haben soll.
Sollten diese beiden PRESSE-Möchtegernhistoriker hier nicht etwas verpasst haben?
Tatsächlich, der von den USA und seinen NATO-Verbündeten entfachte Angriffskrieg auf Afghanistan und gegen die Taliban fehlte. Und damit der richtig große Krieg mit dem großen Massensterben und einer entsprechenden Flüchtlingswelle. Dieses gigantische Verbrechen wurde einfach unterschlagen, weg geschwiegen.
Wer noch zu jung ist oder vergesslich: dem Angriff auf Afghanistan war ein anderes Verbrechen vorausgegangen: die spektakulären Attentate in den USA: „9/11″. Dieses Verbrechen ist bis zum heutigen Tage nicht aufgeklärt, weil daran kein politisches Interesse in den USA besteht. Der Auftraggeber und Drahtzieher wurde allerdings bereits 12 Stunden nach den Attentaten auch ohne Beweise ausgemacht: Osama Bin Laden, der unter den CIA-Decknamen „Tim Osman“ geführt wurde, und eine „Al-Kaida“-Terrororganisation, welche in Pakistan und Afghanistan als eine fundamentalistische Söldner-Plattform von den USA, Saudi-Arabien und Pakistan für den Kampf gegen die russischen Militärs gebildet worden war. Afghanistan hatte zwar nichts mit alledem zu tun, doch diente der angebliche oder tatsächliche Aufenthalt Bin Ladens in Afghanistan als Vorwand, dieses Land zu überfallen. Die Vorbereitungen für den diesen Krieg hatten freilich vor dem 11. September 2001 begonnen, als es zwischen Washington und der Taliban-Regierung zu einem Zerwürfnis gekommen war. Der damalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld hatte die Taliban mit einem Bombenteppich bedroht, sollte sich deren Regierung nicht den US-Interessen fügen. Nach den Terroranschlägen in den USA hatte die US-Administration formal die Auslieferung Bin Ladens von der Taliban-Regierung gefordert. Diese war allerdings frech genug gewesen, erst Beweise für dessen Täterschaft zu verlangen. Wie wir wissen, kamen daraufhin keine Beweise, sondern die Bombenteppiche. Wie viele Menschen alleine 2001/2002 ums Leben gekommen sind, weiß niemand.
„Verantwortlich für die meisten toten Zivilisten im Land sind die radikal-islamistischen Taliban, die seit dem Abzug der NATO-Truppen 2014 wieder an Macht gewinnen.“
Diese Behauptung von Kastenhofer/Perterer beruht allerdings auf Angaben der NATO und somit eines Kriegsteilnehmers. Nach deren Angaben waren und sind es immer die anderen. Belegt ist es nicht und zudem anzuzweifeln, weil die NATO-Opfer in der Regel nirgendwo aufscheinen. Unterschlagen wurde außerdem, dass in Afghanistan mehrere Widerstandsgruppen existieren, die ihren Krieg als einen gegen die NATO-Besatzung und das von ihr abhängige Kollaborateurs-Regime in Kabul ansehen.
„Waren 2011 noch 140.000 Soldaten des Militärbündnisses im Land, sind heute nur mehr weniger als ein Zehntel davon für die Ausbildungs- und Beratungsmission der Nato namens „Resolute Support“ im Einsatz.“
Die Legende vom „Abzug“ der NATO-Militärs aus Afghanistan sollte durch eine Reduzierung der Streitkräfte aufgezeigt werden. Diese wurden zwar tatsächlich reduziert, aber von einem Abzug konnte keine Rede sein.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/nato-stoppt-truppenabzug-aus-afghanistan-a-1065544.html
Hier sollte verschleiert werden, dass die USA und ihre Verbündeten nach wie vor mit Kampfeinheiten Krieg führte, am Boden wie in der Luft. Darunter auch Teile der deutschen KSK, von denen niemand weiß, was die dort machen.
Dennoch musste im Artikel festgestellt werden, dass – angeblich – 115 von 407 Bezirken in Afghanistan von den „Taliban“ kontrolliert werden oder nahe einer Kontrolle sein würden. Dafür wurde unter anderem die „Korruption“ der afghanischen Behörden verantwortlich gemacht.
Kasten/Perterer gaben in ihrem Artikel an, dass viele Afghanen nicht nur vor dem Krieg, sondern auch vor der Armut flüchten würden. Die beiden Autoren schienen allerdings nicht begriffen zu haben, dass eine Folge des Krieges auch die Armut ist und es sich somit nicht um zwei voneinander unabhängige Faktoren handelt.
Tatsächlich wurde angedeutet, dass zahlreiche Afghanen ihre Arbeit verloren hatten, nachdem sie zuvor für die abgezogenen militärischen Strukturen der NATO und jenen zivilen von NGO’s gearbeitet hatten. Sie waren demnach zumeist von Geldern bezahlt worden, welches aus dem Topf westlicher Steuergelder stammte.
Die Unterstützung Afghanistans und ihrer Bevölkerung ist sicherlich wünschenswert, doch wurde der Krieg gegen andere Afghanen aus dem gleichen Topf der Krieg finanziert. Es war nachvollziehbar, dass jene Afghanen, welches für westliche Besatzungstruppen gearbeitet hatte, vom afghanischen Widerstand als Kollaborateure angesehen wurden. Auch das war ein hier ein nicht erwähntes Motiv für eine Flucht.