Bedürftig. Wirklich bedürftig.

Bedürftig – 20. Kandidat: Gernot S.

 

 

Früher war Gernot S. in einem großen staatlichen Telekommunikationskonzern beschäftigt. Als so genannter Controlling-Chef hatte er allerdings entgegen seinem Arbeitsvertrag auch noch andere Dinge kontrolliert. Als Mitglied einer im Telekomminikationskonzern organisierten Bande von Dieben und Betrügern hatte er sehr genau auf seinen Anteil der Beute kontrolliert. Bis die Sache außer Kontrolle geraten war.

 

Danach hatte ihm die Justiz den Vorschlag gemacht, seine Bandenmitglieder zu verraten und dafür im Zuge einer Kronzeugenregelung (viel) zu glimpflich davonzukommen. Gernot S. hatte natürlich eingewilligt, denn Gangster-Ehre ist nur etwas für das Kino aus den 50ern.

 

Gefängnis blieb ihm erspart und somit auch diese für ihn notwendige Erfahrung. Damit es nicht zu schäbig ausschaute, bekam er dafür läppische 120 Stunden Sozialdienst aufgebrummt. Abzuleisten in einem Integrationshaus für behinderte Menschen.

 

Das hat sogar in den Medien für Aufsehen gesorgt. Ein tägliche Schmierblatt für 1,10 Euro widmete Gernot S. gleich eine dreiviertel Seite einschließlich einer kleinen Fotostrecke. Gernot S. beim Waschen eines Fahrzeuges, Gernot S. am Griller, Gernot S. beim Verkauf von Tickets, hier wegen der Kasse freilich nur unter Aufsicht. Nur Gernot S. beim Kloputzen blieb den Schmierblatt-Konsumenten erspart.

Dieses Foto haben wir exclusiv erhalten.

 

Das muss für Gernot S. sehr hart gewesen sein. Auch wenn er mit falschem Stolz verkündete, im Integrationshaus widerliches „Mädchen für alles zu sein“. Er behauptete sogar, sich angeblich für nichts zu Schade zu sein. Nun, das war Herr S. zuvor auch nicht gewesen.

 

Für das Schmierblatt verstieg sich Gernot S. gar noch zu der Aussage, dass er dem Integrationshaus auch in Zukunft helfen möchte, also nach diesen läppischen 120 Stunden Aushilfs-Sozialdienst. Es würde dort ein unglaublicher Idealismus herrschen, wird Herr S. zitiert, wie er ihn selten erlebt habe. Und das gehöre unterstützt.

 

Für einen Moment wurde uns in der Bedürftigen-Redaktion warm ums Herz. Ein Krimineller, der Idealismus nach seiner idealismusfreien Umgebung im Telekomminikationskonzern wiederentdeckt hatte, ein Krimineller, der endlich einmal in seinem Leben etwas nützliches zu tun gedachte, es wenigstens ankündigte. Rührig. Eine rührende Darstellung von urplötzlich entstandenem Sozialinteresse.

 

Er kann es sogar auch, indem er das beiseite geschaffte gestohlene und zusammenkorrumpierte Geld flugs dem Integrationshaus spenden könnte. Die haben es nämlich bitter nötig, weil zu geringe Mittel, zu wenig Geld oder auch „zu spät gezahlte Rechnungen“ durch die „öffentliche Hand“.

 

Hiermit kennt sich Gernot S. aus, er hat seine Hand auch lange genug aufgehalten, um das öffentliche Geld in seine Hosentaschen zu schaufeln. Es ist geradezu grotesk, dass der Herr S. seine Aushilfs-Sozialstunden in einer Einrichtung ableisten durfte, welche er zuvor indirekt bestohlen hatte. Und wir hoffen auch, dass nach seinem Abgang nichts in der Kasse gefehlt hat.

 

Seine Huldigung in einem täglichen erscheinenden Schmierblatt, weil Herr S. ein guter Krimineller zu sein scheint, bedürfte eines weiteren Auswahlverfahrens, zu welchem sich der Chefredakteur oder dessen Geldgeber gerne bewerben dürfen.

 

Aber dem Gernot S. als ganz kleines Lichtchen im Korruptionsuniversum gebührt unser grenzenloses Mitleid, weswegen wir ihm mit der Wahl zum Bedürftigen der Woche gerne entgegengekommen.

 

Freitag
21
März 2014
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