Während das ÖVP-Kabinett über das Innenministerium eingriff, um die Ermittlungspannen von 1998 unter den Teppich zu kehren und den Fall als „gelöst“ hinzustellen, ermittelte vorerst die Kriminalpolizei weiter. Wobei es wiederum zu schweren „Pannen“ kam, wie allerdings erst später öffentlich wurde.
Zumindest einer Mitwisserschaft verdächtigt war der Freund und Geschäftspartner von Priklopil, Ernst H. Dieser Mann war der einzige Freund von Priklopil gewesen, auch wenn dieser es auf eine Art von Bekanntschaft und Geschäftspartnerschaft zu reduzieren versuchte. Allerdings fand die Polizei heraus, dass es sehr wohl eine Reihe von privaten Berührungspunkten gegeben hatte. Sie hatten sich außerdem bereits seit der Jugendzeit gekannt und auch Geschäftsbeziehungen unterhalten. Priklopil hatte für H. gearbeitet und war auch Teilhaber von dessen Immobilienfirma gewesen. Sie hatten Wohnungen preiswert aufgekauft, renoviert und anschließend wieder für einen besseren Preis verkauft. Ernst H. war also nicht irgendjemand für Priklopil gewesen, sondern der einzig feststellbare Freund.
Nach der Flucht von Natascha Ka. hatte Priklopil ihn angerufen. Woraufhin er sich auch sofort auf den Weg gemacht hatte, um ihn zu treffen.
Für die Polizei stellte sich somit die Frage, inwieweit Ernst H. von der Entführung zumindest gewusst haben könnte, wenn er nicht sogar als Mittäter in Frage hätte kommen können. Denn sollte es Mittäter oder Mitwisser gegeben haben, wonach es ja Hinweise gab, wäre es logisch gewesen, wenn Priklopil nach dem Entgleiten der Situation eben diese informiert hätte.
Jetzt war Ernst H. auch noch der Mann, der die letzten Stunden mit Priklopil verbracht haben soll, er war der letzte, der ihn lebend gesehen hatte. Diese Geschichte und wie es sich angeblich abgespielt haben soll, beruhte wiederum nur einzig und allein auf der Aussage von Ernst H. Glaubwürdig war diese nicht. Allein schon wegen der langen Zeit der trauten Zweisamkeit. Hatte man etwa angeregt über eine Kette von Mega-Bauprojekten diskutiert?
Proklopil, möglicherweise in Panik und laut Überwachungskamera im Donauzentrum wenigstens nervs, dürfte andere Probleme empfunden haben, als stundenlang über – in dieser Situation – Belangloses zu reden. Von der Sinnhaftigkeit ganz zu schweigen, wenn er sich danach ohnehin hatte umbringen wollen.
So liegt der Verdacht nahe, dass dieses lange Gespräch mit Ernst H. eher der letzte Auslöser für Prilopil gewesen sein könnte, Selbstmord zu begehen.
Wenn es einer war.
Niemand außer Ernst H. weiß, worüber tatsächlich gesprochen wurde und was überhaupt in dieser Zeit geschah, da es keine Zeugen gibt. Fest steht nur, dass Priklopil später tot auf den Gleisen gefunden wurde. Übrigens noch immer ohne Geld und Telefon. Würde man der Aussage von H. glauben schenken, dass Proklopil gegen 20.00 Uhr aus seinem Wagen gestiegen sei, stellt sich zudem die Frage, wie der Entführer die weiteren 50 Minuten bis zu seinem Tod verbracht haben soll.
Nachbarn von Priklopil war Ernst H. durchaus bekannt, wie die Polizei ermittelte.
Zitat:
„Wolfgang hat mir einmal erzählt, dass er bei einem Ernst H. als ´Mädchen für alles´ arbeiten würde… Mir hat er auch gesagt, dass er gemeinsam mit diesem Herrn H. alte Wohnungen und Häuser ankauft, diese renoviert und mit Gewinn weiterverkauft. Ein Haus, dieses befindet sich in Wien 17 in der Bergsteiggasse, habe ich etwa vor 4 bis 5 Jahren selbst gesehen.“
Die Nachbarn hatten auch unwissentlich Natascha Ka. gesehen, wenn auch erst im Juli 2006.
Zitat:
„Dies war glaublich erst vorige Woche. Damals habe ich Wolfgang Vormittag die Tageszeitung gegeben. Die junge Frau stand neben ihm im Vorgarten. Gesprochen habe ich mit ihr nicht. Meinem Gatten hat Wolfgang einige Tage zuvor erzählt, dass diese Frau bei Ernst H. angestellt wäre und gelegentlich bei ihm im Haus aushilft. Mein Gatte hat sie aber auch zum ersten Mal im Juli 2006 gesehen.“
Zu einem unglaublichen Vorfall kam es dann, als nur einen Tag nach der Flucht von Frau Ka. und dem Tod ihres Entführers dessen Freund Ernst H. das Haus von Priklopil aufsuchte, wo gerade die Spurensicherung der Polizei ihrer Arbeit nachging. Ungeachtet dessen räumte H. mit einer bemerkenswerten Dreistigkeit eine Reihe von Gegenständen ein, wobei er behauptete, er handele sich um von ihm Geliehenes und dass er eine Vollmacht der Mutter von Priklopil dafür habe. Diese konnte es auf Anfrage durch Beamte zwar nicht bestätigen, doch spielt das keine Rolle. Die Polizei ließ ihn unglaublicherweise gewähren und mit nicht mehr nachprüfbaren Objekten davonfahren. Davon abgesehen, dass Ernst H. nun sogar live „unverfänglich“ eigene Spuren hinterlassen haben musste, konnten womöglich Beweise beiseite geschafft worden sein. Der Tatort musste jedenfalls als nachträglich manipuliert angesehen werden.
Danach fand die Polizei keinen tauglichen Computer mehr, nur ein altes Commodore-Gerät, während gleichzeitig entdeckt wurde, dass für Wolfgang Priklopil zwei IP-Nummern (zwei Internet-Anschlüsse) existierten.
Erst am 4. Oktober 2006 berichtete der Stern, dass die Polizei das Haus von Ernst H. durchsucht und mehrere Computer und Zubehör beschlagnahmt habe. Darunter soll sich auch ein Laptop befunden haben, von dem vermutet wurde, dass er Priklopil gehört haben könnte. Der Stern berichtete weiter, dass viele Dateien auf der Festplatte verschlüsselt seien und offenbar größere Datenmengen gelöscht worden wäre. Es würde versucht werden, diese zu rekonstruieren.
Gehört hat man nie wieder etwas davon.
Unterdessen hatte Ernst H. am 30. August 2006 eine eigene Pressekonferenz abgehalten. Während seine Schwester Margit W. als Pressesprecherin dort moderierte, las H. dort ausschließlich aus einem vorgefertigten Schriftstück vor, in welchem er über einige bestimmte Begebenheiten im Zusammenhang mit Priklopil berichtete. Er erzählte von mehreren Aufenthalten in Priklopils Haus, auch von Spengler-Arbeiten, wo ihm aber die Anwesenheit einer weiteren Person nicht aufgefallen sei. Gesehen habe er Natascha Ka. im Juli (2006) aber doch noch, ohne angeblich von ihrer Identität zu wissen. Priklopil habe sich einmal einen Anhänger von ihm ausborgen wollen und sei in Begleitung der jungen Frau erschienen. „Die junge Frau wirkte fröhlich, glücklich“, sagte Ernst H. den Reportern. Priklopil habe sie als eine Bekannte vorgestellt.
In Hinblick auf die offizielle Geschichte der Ereignisse mag es geradezu erstaunlich sein, dass Priklopil demnach ganz offen mit Natascha Ka. unterwegs gewesen sein soll. Und das nicht nur irgendwo, sondern bei seinem alten Bekannten, den guten Geschäftsfreund. Der zwar nach eigenem Bekunden erstaunt gewesen sein soll, aber nie das Mädchen zu einem Thema gemacht haben will. Auch erstaunlich. Bemerkenswert außerdem der von H. kolportierte Aspekt, dass Natascha Ka. nicht den Eindruck eines Entführungsopfers vermittelt hatte.
Mit dieser Aussage unterstützte H. durchaus die Wahrnehmung zahlloser Medienkonsumenten.